Rezension49
Tasos Kostopoulos: I aytologokrimeni mnimi. Ta tagmata asfaleias kai i metapolemiki ethnikofrosyni [Die selbstzensierte Erinnerung. Die Sicherheitsbataillone und die Nationalgesinnung der Nachkriegszeit].
Athina: Filistor, 2005. S. 172, ISBN 960-369-0821.
Τάσος Κωστόπουλος: Η αυτολογοκριμένη μνήμη. Τα τάγματα ασφαλείας και η μεταπολεμική εθνικοφροσύνη, Αθήνα: Εκδόσεις Φιλίστωρ, 2005.
Dass professionelle Historiker/innen von außen - d. h. von Akteuren mit anderem beruflichen Hintergrund –, erfreuliche Konkurrenz bekommen können, beweist der griechische Journalist Tasos Kostopoulos innerhalb nur weniger Jahre zum zweiten Mal. Nach seiner ausführlichen Arbeit über die staatliche Unterdrückung der Slawophonie im griechischen Westmakedonien, die einerseits für großen Aufruhr innerhalb des griechischen Außenministeriums sowie in nationalistischen Kreisen Griechenlands sorgte, andererseits für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Makedonienproblematik in Griechenland mittlerweile ein Standardwerk darstellt, kommt nun eine Studie zur Erinnerung und zum Vergessen an die Kollaboration von Teilen der griechischen Gesellschaft mit der deutschen Besatzungsmacht während des Zweiten Weltkriegsdazu. Zeitlicher Untersuchungsraum ist das antikommunistisch geprägte Nachkriegsgriechenland der ethnikofrosyni („Nationalgesinnung“) von 1945 bis 1974.
Im Allgemeinen - dies sei hier vorweggenommen - ist die Erstellung von Studien zur griechischen Erinnerungskultur durchaus zu begrüßen, da nur durch die Untersuchung der historischen Aufarbeitung von identitätsstiftenden Ereignissen des modernen Hellenismus politische und soziale Entwicklungen im heutigen Griechenland, aber auch in der griechischen Diaspora umfassend verstanden werden können. Dazu kommt noch die Tatsache, dass im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, in denen die Geschichtswissenschaft zu Beginn der 1990er Jahre sowohl die individuelle als auch die kollektive Erinnerung sowie ihre politische Instrumentalisierung für politische Ziele als Forschungsfeld entdeckte und zu einem der meist untersuchten Forschungsgebiete überhaupt machte, die griechischen Historiker/innen diese Entwicklung innerhalb der Historiographie für ein ganzes Jahrzehnt nur am Rande berücksichtigt haben. Aber auch noch heute, und trotz der engagierten Bemühungen weniger Universitätsprofessoren/innen innerhalb Griechenlands - vor allem Riki van Boeschoten und Hagen Fleischer[1] - sowie griechischer Nachwuchswissenschaftler außerhalb des Landes[2] an „verlorenem Boden“ wieder einiges gut zu machen, gibt es leider allzu wenig Untersuchungen zur kollektiven Erinnerung der griechischen Gesellschaft über verschiedene Aspekte der Besatzungs- und Bürgerkriegsjahre im Nachkriegsgriechenland sowohl vor als nach der Zäsur von 1974.[3] Ähnliches gilt auch für Studien zur historischen Aufarbeitung anderer essentieller Ereignisse für die Stiftung der modernen griechischen Identität, wie z.B. die Junta-Diktatur der Jahre 1967-1974 oder die damit verbundene Zypern-Tragödie von 1974. Letztere Feststellung erhält stärkere Aussagekraft, wenn man diese Situation mit der entsprechenden in anderen europäischen Ländern vergleicht, die ähnliche politische Entwicklungen wie Griechenland im 20. Jahrhundert durchliefen. Zu nennen wäre hier vor allem Spanien (Bürgerkrieg 1936-1939, Franco-Diktatur, Demokratisierung seit 1975, EWG-Beitritt), dessen Erinnerungskultur nicht nur spanische, sondern auch ausländische Wissenschaftler/innen stets zu faszinieren scheint.
Dementsprechend ist die Arbeit Kostopoulos’ schon allein aufgrund ihrer erinnerungskulturellen Ausrichtung positiv aufzunehmen. Der Autor greift sowohl auf öffentliche Quellen - etwa historiographische Publikationen, Memoiren, Presse, Schulbücher und Parlamentsprotokolle aus den Jahren 1945-1974 - als auch auf staatliche und private Archive sowie Sekundärliteratur zurück, um die historische Aufarbeitung der Kollaboration im Griechenland der antikommunistischen und antislawischen Besessenheit der Jahre 1945-1974 zu rekonstruieren. Die Studie setzt sich insgesamt aus sieben Kapiteln zusammen, für deren Erstellung zum Teil chronologische, zum Teil inhaltliche Kriterien berücksichtigt wurden. Ein Anhang mit Fotos (von Kollaborateuren) sowie mit diversen Archiv- und Zeitungsausschnitten schließt das Buch ab.
Das erste Kapitel („Die Besatzungsvergangenheit“) thematisiert das Ereignis, das im Nachhinein erinnert bzw. vergessen wurde, nämlich die militärische Kollaboration griechischer Staatsbürger mit den Besatzern. Kostopoulos unterscheidet zwischen verschiedenen Gruppierungen von militanten Kollaborateuren, wobei er bei der Differenzierung hauptsächlich die Entstehungsbedingungen letzterer berücksichtigt: Waren z.B. die so genannten „Evzone-Bataillone“ ausschließlich durch die griechische Quisling-Regierung ins Leben gerufen worden und formierten sich anfänglich die „klassischen“ Sicherheitsbataillone auf der südlichen Provinz des Peloponnes aus eigener Initiative, so wurden in Nordgriechenland im Zuge der ethnopolitischen Rivalitäten nationalistische Formationen griechischer, bulgarischer, albanischer und aromunischer Ausrichtung direkt durch die deutsch-italienisch-bulgarische Besatzungsmacht gegründet. Äußerst interessant ist auch der Versuch Kostopoulos’ in diesem ersten Kapitel, die Motive für die militärische Kollaboration bzw. ihren sozialen Hintergrund zu erkunden: Neben armen Leuten, die ihrer Hungernot entflohen, aber auch skrupellosen Verbrechern, die auf eine schnelle Bereicherung abzielten, waren die Kollaborateure vor allem fanatische Antikommunisten sowie Angehörige ethnischer und sprachlicher Minderheiten. Zudem kamen noch Gruppen sowohl „einheimischer“ Griechen als auch „kleinasiatischer Flüchtlinge“ hinzu, die durch die Kollaboration ihre „alten“ Differenzen aus den 1920er Jahren (Landbesitzstreitigkeiten u.ä.) zu lösen versuchten.
Das zweite Kapitel („Zärtlichkeitsbeziehungen“) bewegt sich immer noch auf der Ebene des Ereignisses, sein Beitrag jedoch ist essentiell, um die spätere Ausfaltung der Vergangenheitspolitik im antikommunistischen Griechenland der Jahre 1945-1974 zu verstehen: Es beschreibt die Beziehungen der Tagmatasfalites (Sicherheitsbataillonisten), so die Bezeichnung der militanten Kollaborateure innerhalb der griechischen Besatzungsgesellschaft, zu „nationalen“ Widerstandsbewegungen, wie der EDES im Epirus, der PAO im griechischen Makedonien oder der RAN in der Hauptstadt Athen. Überzeugend zeigt dabei Kostopoulos, dass während der Besatzungsjahre dichte Kommunikationskanäle zwischen ideologisch rechts-orientierten Widerstandsorganisationen einerseits und Kollaborationsbataillonen andererseits existierten, ja sogar in vielen Fällen Gruppierungen aus beiden Lagern zusammengearbeitet hatten, wenn es sich dabei um die Bekämpfung des gemeinsamen Feindes, d.h. des Kommunismus bzw. der von der griechischen kommunistischen Partei angeführten Widerstandsbewegung EAM/ELAS, ging.
Dass sich nach der Befreiung und im Zuge des erbitterten bürgerlich-kommunistischen Kampfes um die Macht diese offenen Kommunikationskanäle zu fließenden Grenzen transformierten, wird im folgenden Kapitel („Die Reintegration“) rekonstruiert, wobei sich dieses allmählich von der Ebene des Ereignisses entfernt und jene der kommunikativen Erinnerung und der Vergangenheitspolitik ansteuert. Kostopoulos skizziert hier, wie trotzder lebhaften Erinnerung an die Verbrechen der Tagmatasfalites, die nicht nur unter der Zivilbevölkerung, sondern auch selbst bei der politisch-bürgerlichen Elite des Landes präsent war, letztere dennoch bevorzugte, das dunkle Kapitel der Kollaboration sehr schnell zu schließen – vorausgesetzt, es handelte sich bei den Kollaborateuren um Antikommunisten hellenischer Gesinnung. Grund für dieses rasche Vergessen an die Taten der Kollaboration war kein Geringerer als die Not des monarchistischen Bürgertums, seine Kräfte für den bevorstehenden „Endkampf“ gegen den Kommunismus mit fanatischen Antikommunisten - was idealerweise die meisten Tagmatasfalites waren - aufzurüsten. So wurde bereits während der Dezember-Ereignisse von 1944, als sich EAM/ELAS-Kämpfer, britische Streitkräfte, rechtsextreme Partisanen und griechische Gendarmen einen unerbittlichen Straßen- und Häuserkampf um Athen lieferten, eine große Anzahl von ehemaligen Kollaborateuren in die Regierungstruppen aufgenommen mit dem unmittelbaren Ziel, die numerische Überlegenheit der Kommunisten zu Gunsten der auf einer Seite kämpfenden Briten, rechtsradikalen Milizen und staatlichen Ordnungskräften auszugleichen. Diese Rekrutierung stellte, wie uns Kostopoulos anhand mehrerer Beispiele nahelegt, den Beginn eines in den folgenden Bürgerkriegsjahren massenhaft erfolgten Übertritts von Kollaborateuren aus der Reihen der Sicherheitsbataillone in die griechisch-bürgerliche Armee dar.
Was schließlich für viele Kollaborateure die Eingliederung in die „Nationale Armee“ war, nämlich der Rettungsanker, um mit ihren Taten während der Besatzung nicht konfrontiert zu werden, erwiesen sich - auch wennes aufs erste merkwürdig klingt - für andere die Kollaborationsgerichtsprozesse; diese wurden entweder militärintern für Tagmatasfalites aus Einheiten der griechischen Streitkräfte (z.B. die „Evzone-Bataillone“) oder von Seiten der Justiz für Kollaborateure zivilen Hintergrunds organisiert. Währenddessen hat man von Tagmatasfalites niedriger Ränge über prominente Bataillonskommandanten bis hin zur Quisling-Regierung Rallis’, die als allererste Sicherheitsbataillone ins Leben gerufen hatte, allefreigesprochen. Die angeführten Gründe für den Freispruch bzw. die Entlastungsargumentation variierte von Fall zu Fall. Beim Freispruch Rallis’ und seiner Mitarbeiter etwa wurde die Tatsache berücksichtigt, dass die Motive, die hinter der Errichtung von Sicherbataillonen standen, eigentlich „patriotisch“ gewesen seien, und zwar „die Wiederherstellung der Ordnung auf dem Land und in den Städten, die durch die Tätigkeit krimineller Elemente […] gefährlich gestört war“. Dass die Sicherheitsbataillone von ihrer ursprünglichen Mission entgleist waren und sich gegen Griechen richteten, sei dem Gerichtsurteil zufolge „den Deutschen“ anzulasten (S. 76f.).
Das gerade zitierte Gerichtsurteil, das trotz der Rechtfertigung der Gründung von Sicherheitsbataillonen die Tätigkeit letzterer dennoch für „antigriechisch“ erklärte, lässt bereits erahnen, was Kostopoulos in seinen nächsten drei Kapiteln („Die Taktik des Vergessens“, „Die parlamentarische Repräsentation“, „Die nationalgesinnte Historiographie“) anhand mehrerer Beispiele aus verschiedenen Handlungsfeldern der Nachkriegserinnerungskultur exemplifiziert: Im Gegensatz zum politisch-justiziellen Handlungsfeld der Vergangenheitspolitik, auf dem man sich bereit zeigte, die militärische Kollaboration mit den Besatzern für Bürger griechisch-nationalistischer Prägung (gewissermaßen) zu legitimieren, blieb die Tür zu der staatlichen Geschichtspolitik für eine Integration der Tagmatasfalites in die antikommunistische Meistererzählung der Ethnikofrosyni über die 1940er weitgehend verriegelt. Trotz der wiederholten Versuche (weniger) ehemaliger Sicherheitsbataillonisten und ihrer Unterstützer - meistens Politiker rechtsradikaler Ausrichtung - entweder während Debatten des griechischen Parlaments oder auf dem Gebiet der Historiographie, die Sicherheitsbataillone als Beschützer der Nation vor dem Kommunismus, ja sogar hin und wieder diese als Widerstandsorganisationen darzustellen, blieb die vom Staat der Ethnikofrosyni auferlegte Geschichtskultur dagegen resistent. Die prägnantesten Beispiele, die Kostopoulos für das völlige Ausblenden der Tagmatasfalites aus der Erinnerungskultur des nationalgesinnten Nachkriegsgriechenlands anführt, sind zum einem die 63 Kinofilme über die Besatzungszeit, in denen das Phänomen der militärischen Kollaboration schlicht ignoriert wurde; zum anderen der jährliche Gedenktag des so genannten „Massakers von Meligalas“ auf dem Peloponnes; während dessen trat das kuriose Phänomen auf, dass an die von den Kommunisten im Jahr 1944 „niedergemetzelten“ Sicherheitsbataillonisten erinnert wurde, ohne explizit zu erwähnen, dass letztere solche waren, also Tagmatasfalites. Selbst prominente Regierungsmitglieder der rechtsradikalen Junta-Diktatur, die ab 1967 mit ihrer Anwesenheit den Meligalas-Zeremonien höchste staatliche Offiziosität verliehen, bevorzugten in ihren Ansprachen von „nationalgesinnten Patrioten“ und „unschuldigen Zivilisten“ zu sprechen, statt auch nur irgendwelche Erwägung an die „dunkle Vergangenheit“ der gefallenen „Heroen“ zu machen.
Im letzten Kapitel („Legitimierung auf heimtückische Art“) seiner Studie konzentriert sich Kostopoulos dann ausschließlich auf die Zeit der Militärdiktatur, da diese erneut, und ähnlich zu den unmittelbaren Nachkriegsjahren, ein ebenso eigenartiges wie interessantes Nebeneinander von politisch-justizieller Vergangenheitspolitik einerseits und öffentlicher Erinnerungs- und Memorialkultur andererseits darstellt: Auf der einen Seite hat die Junta unmittelbar nach ihrer Machtergreifung einen gesetzlichen Rahmen geschaffen mit dem Ziel, die früheren Tagmatasfalites in den Korpus der Kämpfer des „Nationalen Widerstands“ zu integrieren, so dass auch diese neben anderen „nationalgesinnten Widerstandskämpfern“ in den Genuss ökonomischer Vorteile kommen könnten. Dies erfolgte im Wesentlichen, indem man seit 1967 nicht nur den Kampf gegen die Besatzungsmächte, sondern auch jenen gegen den Kommunismus als „Widerstand“(während der Besatzungszeit) definierte. Auf der anderen Seite vermieden die militärischen Herrscher gleich wie ihre politischen Vorgänger jegliche öffentliche Referenz an die Sicherheitsbataillone zu machen, deren Mitglied, so Kostopoulos, möglicherweise der Diktator Papadopoulos selbst gewesen sei. Neben der Tatsache, dass nicht einmal im Junta-Gesetz bezüglich der Anerkennung der Widerstandstätigkeit antikommunistischer Natur die Sicherheitsbataillone namentlich genannt, sondern nur nachskizziert werden, und außer dem bereits erwähnten Fall der Gedenkfeier von Meligalas, führt hier Kostopoulos auch weitere Beispiele aus der staatlichen Erinnerungskultur jener Jahre an, anhand derer verdeutlicht wird, dass die Sperrzone des Erinnerns an die Tagmatasfalites auch in der letzten Phase des antikommunistischen Staates der Ethnikofrosyni erhalten blieb.
Was letztendlich Kostopoulos in seiner Studie untersucht, ist nicht ein Prozess kollektiven Erinnerns, geschweige von historischer Aufarbeitung, sondern einer der Verdrängung, des Vergessens und der historischen Nicht-Aufarbeitung, kurzum der Entstehung eines weißen Fleckes im kollektiven Gedächtnis der griechischen Nation. Dem antikommunistischen Staat der nationalgesinnten Bürgerkriegsgewinner ging es vor allem darum, eine konsensfähige Erinnerung innerhalb des Siegerlagers bezüglich der Okkupationszeit zu rekonstruieren, der zufolge alle Griechen - ausgenommen Kommunisten und Angehörige ethnischer Minderheiten - den Besatzungsmächten feindlich gegenüber standen. In diesem Mythos des einheitlichen Widerstands gegen die „Deutschen“ verzichtete man bewusst auf die Erinnerung an die Sicherheitsbataillone und förderte diesbezüglich eine kollektive Amnesie innerhalb der griechischen Gesellschaft. Dies hinterließ wiederum bei den ehemaligen Tagmatasfalites gemischte Gefühle: Zwar wurden die meisten von ihnen strafrechtlich nicht bzw. nur pro forma verfolgt, sie wurden aber auch nicht in die historische Meistererzählung des antikommunistischen Nachbürgerkriegsgriechenland hinsichtlich der Besatzungs- und Bürgerkriegsjahre einbezogen.
Angesichts dieser von Kostopoulos geschilderten Erinnerungssituation fragt man sich allerdings nach der Richtigkeit des von ihm gewählten Titels „selbstzensierte Erinnerung“ bzw. nach seiner Widersprüchlichkeit zum tatsächlichen Inhalt des Buches. Denn die Entscheidung, die Erinnerung an die Kollaborationsvergangenheit zu verdrängen, ist ja nicht auf die eigene Initiative der Sicherheitsbataillonisten zurückzuführen, sondern wurde ihnen von dem autoritären Staat der Ethnikofrosyni auferlegt. Bezieht sich wiederum Kostopoulos mit dem Titel auf die Versuche ehemaliger Sicherheitsbataillonisten und anderer Akteure, diese ihnen auferlegte Erinnerungssperre zu durchbrechen und auf dem Gebiet der Historiographie die Sicherheitsbataillone historisch zu legitimieren - einerseits durch die Hervorhebung ihrer antikommunistischen Tätigkeit, andererseits durch das Schweigen über ihre Zusammenarbeit mit dem Feind -, dann könnte die Titelwahl einigermaßen gerechtfertigt sein. Der Titel wäre aber immer noch mit dem eigentlichen Schwerpunkt der Studie schwer zu vereinbaren, der primär auf der staatlichen Erinnerungspolitik und wie diese die Tagmatasfalites aus ihrer antikommunistischen Meistererzählung ausblendete, statt bei den vorsätzlichen „Gedächtnislücken“ einstiger Kollaborateure, liegt. Möchte schließlich Kostopoulos mit seinem Titel andeuten, dass sich der antikommunistische Staat der Ethnikofrosyni in seinen Führungspositionen mehrheitlich aus ehemaligen Kollaborateuren zusammensetzte, die sich selbst und ihren früheren Kameraden das Vergessen auferlegten, dann hätte man von dem Autor mehr als nur drei Beispiele (im Anhang) von Tagmatasfalites,die zwischen 1945 und 1974 Regierungspositionen innehatten, als Beweis dafür erwartet.
Neben einem weniger irreführenden Titel wäre auch wünschenswert gewesen, dass Kostopoulos eine theoretische Einbettung seiner Arbeit anhand des erinnerungskulturellen Forschungsansatzes vorgenommen hätte. Dies hätte nicht nur viele seiner griechischen Leser/innen mit dem innerhalb der Geschichtswissenschaften erfolgten Paradigmenwechsel zur Kulturgeschichte vertraut gemacht, sondern auch ihm selbst geholfen, zwischen verschiedenen Formen des Gedächtnisses, mehreren Transmissionriemen von Erinnerungskultur und Geschichtspolitik sowie diversen Ebenen von Vergangenheitsbewältigung zu unterscheiden. Schade ist ebenfalls, dass Kostopoulos seiner Untersuchung mit dem Jahr 1974 ein Ende setzt und diese nicht auf die Erinnerungskultur bezüglich der Sicherheitsbataillone im Griechenland der demokratischen Transition und Konsolidierung ausgeweitet hat. Die Rekonstruktion der Gratwanderung während der Metapoliteysi zwischen staatlicher Geschichtspolitik, die das Vergessen an die Kollaboration (im Großen und Ganzen) weiter fortsetzte, und einer durch die politisch und historisch rehabilitierten Bürgerkriegsverlierer dominierte öffentliche Erinnerungskultur, die die einst „nationalen“ Gewinner jetzt massenhaft zu „Kollaborateuren“ und „Verrätern“ ernannte, könnte sich als durchaus spannend erweisen - dem unermüdlichen Forscher Kostopoulos wäre jedenfalls dieser zusätzliche Arbeitsaufwand zuzutrauen.
Schließlich ist die oft (zu) polemische Argumentationsweise Kostopoulos’, die im Wesentlichen aus seiner Kontroverse mit den „Re-Revisionisten“ der griechischen Zeitgeschichte (Ioannis Koliopoulos, Stathis Kalyvas, Nikos Marantzidis u. a.) resultiert, zu bemängeln.[4] Wie der Verfasser am Ende seines Nachwortes mehr als deutlich zu verstehen gibt, stellt seine Arbeit über die Erinnerung an die Kollaboration im antikommunistischen Nachbürgerkriegsgriechenland eine Antwort auf neuere Untersuchungen dar, die - um es grob nachzufassen - den manichäistischen Mythos der Metapoliteysi von „guten Kommunisten/Linken“, die dem „Weißen Terror“ der Rechten ausgesetzt gewesen seien, und „bösen Faschisten/Monarchisten“, die durch die Terrorisierung des demokratischen Lagers die Entfachung eines Bürgerkriegs angestrebt hätten, in Frage stellen. Dass im Rahmen dieser „neuen Historiographie“ über die 1940er Jahre die Re-Revisionisten auch die Errichtung von Sicherheitsbataillonen als eine Selbstverteidigungsmaßnahme nicht-kommunistischer Bürger gegenüber der erdrückenden KKE/EAM/ELAS-Gewalt erscheinen lassen, provoziert umso mehr die Verfechter der „alten Schule“, also der Historiographie der Metapoliteysi,zu denen auch Kostopoulos gehört. Daher ist die implizite Botschaft seines Buches folgende: Wie einst ehemalige Tagmatasfalites die negative Erinnerung der griechischen Gesellschaft an die Kollaboration durch eine „glorreiche“ antikommunistische zu ersetzen versuchten, so sind heute die re-revisionistischen Historiker bemüht, das hässliche Bild des Kollaborateurs anhand der Hervorhebung des „roten Terrors“, dem sich die Sicherheitsbataillonisten widersetzten, zu läutern. Man sollte als Leser des Buches Kostopoulos’ diesen griechischen „Historikerstreit“ stets im Hintergrund behalten, insbesondere wenn es um die Beantwortung von Fragen geht, die mit den hier angesprochenen Kritikpunkten zu tun haben. Die Gründe zumindest für die besagte Unwilligkeit des Autors, seine Untersuchung auf die Periode nach 1974 auszudehnen, kommen unter dem Licht seiner Kontroverse mit den Re-Revisionisten ziemlich klar zum Vorschein.
Trotz der angesprochenen Kritikpunkten stellt die Arbeit Kostopoulos innerhalb des noch „mageren“ Forschungsgebiets der griechischen Erinnerungskultur einen wichtigen Beitrag dar, der bei zukünftigen Untersuchungen ähnlicher Thematik nicht zu übersehen sein wird. Nimmt man zur Kenntnis, was der Autor in der Vorstellung seines Buches sagte, nämlich, dass seine Untersuchung zur Erinnerung an die Kollaboration ihren Ausgangspunkt in seiner früheren Forschung bezüglich der Unterdrückung der Slawophonie im griechischen Westmakedonien habe, dann ist man gespannt, ob die hier besprochene Arbeit den unermüdlichen Forscher und Publizist Kostopoulos ebenso anregen wird, ein nächstes neues Forschungskapitel aufzuschlagen - für Historiker/innen jedenfalls, die mittlerweile daran gewohnt sind, auf seine Arbeiten, die des Öfteren ein Glanzstück geschichtswissenschaftlicher Forschung sind, zurückzugreifen, wäre das sicher eine durchaus erfreuliche Nachricht.
Rezensiert von Adamantios Skordos (Zentrum für Höhere Studien der Universität Leipzig)
Email: skordos@rz.uni-leipzig.de
[1]
Die wichtigsten Arbeiten der beiden sind: Riki van Boeschoten, Anapoda Chronia. Sillogiki mnimi kai istoria sto Ziaka Grevenon [Verkehrte Jahre. Kollektives Gedächtnis und Geschichte im Dorf Ziaka von Grevena], Athina 1997; Dies., I adynati epistrofi: Antimetopizontas to chorismo kai tin anasyngrotisi tis mnimis os synepeia tou emfyliou polemou [Die unmögliche Rückkehr: Konfrontiert mit der Trennung und der Wiederherstellung der Erinnerung als Folge des Bürgerkriegs], in: Mazower, Mark (Hg.), Meta ton polemo. I anasyngrotisi tis oikogeneias, tou ethnous kai tou kratous stin Ellada, 1943-1960 [Nach dem Krieg. Die Wiederherstellung der Familie, der Nation und des Staates in Griechenland, 1943-1960], Athina 2003, S. 139-159; Dies., From Armatolik to people’s rule: investigation into the collective memory of rural Greece, 1750-1949, Amsterdam 1991; Fleischer, Hagen, Mnimi kai politiki. O 2. Pangosmios Polemos sti synchroni „dimosia istoria“ [Gedächtnis und Politik. Der Zweite Weltkrieg in der modernen „öffentlichen Geschichte“], Athina 2007 [im Erscheinen]; Ders., Authoritarian rule in Greece and its heritage, in: Borejsza, Jerzy; Ziemer Klaus (Hgg.), Totalitarian and Authoritarian Regimes in Europe. Legacies and Lessons from the Twentieth Century, New York 2006, S. 237-275; Ders., Was wäre wenn…- Die „Bewältigung“ der kommunistischen Niederlage im griechischen Bürgerkrieg nach Wiederherstellung der Demokratie (1974-2006), in: Brunnbauer, Ulf; Troebst, Stefan (Hgg.), Zwischen Nostalgie, Amnesie und Allergie:
Erinnerung an den Kommunismus in Südosteuropa, Köln u. a. 2007 [im Erscheinen]; Ders., The Past beneath the Present. The Resurgence of Word War II Public History After the Collapse of Communism: A Stroll through the International Press, in: Historein, Bd. 4 (2003-4), S. 45-130.
[2]
Die ersten Dissertationen zur griechischen Erinnerungskultur nach 1945 befinden sich gerade im Abschlussstadium, wie z. B. die Arbeit von Giorgos Antoniou mit dem Titel „Memory and Historiograpy of the Greek Civil War 1943-1949“, European University Institute von Florenz (vgl. http://www.iue.it/HEC/ResearchTeaching/ThesisDefences.shtml).
[3]
Außer den bereits genannten Arbeiten von Boeschoten und Fleischer sind noch folgende Studien erwähnenswert, wobei sie allerdings mit Ausnahme ersterer ausschließlich das Feld der Historiographie berücksichtigen: Karakatsani, Despoina; Vervenioti, Tasoula, Griechenland. Doppelter Diskurs und gespaltene Erinnerung, in: Flacke, Monika (Hg.), Mythen der Nationen. 1945 - Arena der Erinnerungen, Bd. 1, Berlin 2004, S. 257-284; Liakos, Antonis, Modern Greek Historiography (1974-2000). The Era of Transition from Dictatorship to democracy, In: Brunnbauer, Ulf (Hg.), (Re)Writing History. Historiography in Southeast Europe after Socialism. Münster 2004, S. 351-378; Koulouris, Nikos, Elliniki vivliografia tou emfyliou polemou 1945-1949. Aytoteli dimosieumata 1945-1999 [Griechische Bibliographie zum Bürgerkrieg 1945-1949. Eigenständige Publikationen 1945-1999], Athina 2000; Kalyvas, Stathis, Emfylios Polemos (1943-1949): To telos ton mython kai i strofi pros to maziko epipedo [Griechischer Bürgerkrieg (1943-1949): Das Ende der Mythen und die Kehrtwende zur Massenbewegung], in: Epistimi kai Koinonia [Wissenschaft und Gesellschaft], H. 11 (2003), S. 37-70; Mazower, Mark, Historians at War: Greece 1940-1950, in: The Historical Journal, Bd. 38 (1995), 499-506; Antoniou, Giorgos; Marantzidis, Nikos, The Greek Civil War Historiography, 1945-2001. Towards a New Paradigm, in: The Columbia Journal of Historiography, Bd. 1 (2003), URL: http://www.columbia.edu/cu/history/gha/cjh/2003_4.htm; Dies., The Axis Occupation and Civil War: Changing Trends in Greek Historiography, 1941–2002, in: Journal of Peace Research, Bd. 41, H. 2, 223-231 (2004).
[4] Vgl. z. B. den herausfordernden Artikel von Tasos Kostopoulos „I nea deksia istoriografia. Oi tagmatasfalites dikaionontai“ [Die neue rechte Historiographie. Die Sicherheitsbataillonisten werden freigesprochen] in der Zeitung Kyriakatiki Eleytherotypia (26.10.2003) und die darauf bezogene Antwort Stathis Kalyvas’ (3.11.2003). Zum „griechischen Historikerstreit“ im Allgemeinen, den der Zeitungsartikel von Kalyvas/Marantzidis „Nees Taseis sti meleti tou emfyliou“ [Neu Tendenzen in der Untersuchung des Bürgerkriegs] (Ta Nea, 20.3.2004) ausgelöst hat und mit scharfen Tönen in der Zeitung Ta Nea ausgetragen wurde, vgl. u. a. die Stellungnahmen von Giorgos Margaritis (5.6.2004), Ilias Nikolakopoulos (22.5.2004) und Neni Panourgia (23.6.2007).