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Rezension 58

Zoran Terzić: Kunst des Nationalismus. Kultur, Konflikt, (jugoslawischer) Zerfall.
Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2007. ISBN: 978-3-86599-018-1. 384 Seiten. Euro 24,90.

 

Kunst hat nicht nur Anteil an den Erscheinungen, die die außerkünstlerische Wirklichkeit konstituieren. Die Weisen, in denen wir uns der Kunst nähern, eröffnen auch – wendet man sie auf historische Ereignisse an – neue Aussichten auf die Realität. Um diese zentrale Idee hat Zoran Terzić, der in Wuppertal Nicht-normative Ästhetik studiert hat, seine Untersuchung zur Kunst des Nationalismus organisiert, die auf seiner Dissertationsschrift an der Bergischen Universität aus dem Jahr 2006 basiert. Straßenblockaden werden dort als Installationen gedeutet, für Bombenwarnungen werden Vorlagen in der bildenden Kunst ausgemacht und Politiker sowie politische Performanzen werden als Kunstwerke gelesen, die Realitäten ‚in Szene setzen’.
Während in Terzićs Buch Geschichte also als Form ‚gelebter Kunst’ interpretiert wird, hat die Kunst selbst ihr historisches Umfeld immer schon beeinflusst. Im Falle Jugoslawiens, an dessen jüngster Geschichte der Sezessionskriege das Buch die Zusammenhänge wirkmächtiger Kunst durchexerziert, hat sie auch den Zerfall als Staat befördert – so Terzić. Bei der Sichtung desintegrierender Kulturprodukte, die, in der Ausdeutung des Verfassers, so folgenreich für den Staat Jugoslawien wurden, eröffnet Terzić dem Leser Einblick in bisher wenig beachtetes Material und kaum diskutierte Hintergründe. Es sind gerade diese Berücksichtigung neuer Untersuchungsgegenstände zum jugoslawischen Zerfall und die damit verbundene neue Perspektive, welche die Stärke des Buches ausmachen.

Kunst des Nationalismus  ist in fünf Teile gegliedert, dessen erster „Nationalismus, Kultur und Krieg“ einleitend auf das Wechselverhältnis von Kunst und Politik eingeht. Nationalismus, den der Verfasser als entscheidendes Moment der Kriege im ehemaligen Jugoslawien voraussetzt, wird nicht als ausschließlich politisches, sondern auch als künstlerisches Produkt und Phänomen verstanden. Diese Einsicht Terzićs schließt, mit auf die Kunst verschobenem Akzent, an Benedict Andersons ‚vorgestellten’ (imagined) Charakter des Nationalen an. Der Zerstörung von Bibliotheken, schreibt Terzić, muss die Existenz von Metaphern vorausgehen, die diese Zerstörung einfordern (16). Die Kunst, so der Verfasser, ist mehr als Spiegel oder Supplement der Realität; sie ist als Teil der Welt der Ideen der ‚Wirklichkeit’ vorgängig.
Eine Beteiligung der Kunst an der Wegbereitung der Kriege überrascht bei der Lektüre einer Untersuchung zu Jugoslawien ebenso wenig wie der diagnostizierte Konstruktivismus, der Nationsbildung und Nationalismus – auch im Feld der Kunst – zu Grunde liegt. Die spezifisch jugoslawischen Nationalismen sind aus Warte unterschiedlicher Disziplinen viele Male bearbeitet, die Rolle von Kunst und Kultur dabei nicht übersehen worden. Man könnte etwa Andrew Wachtels Studie zur Literatur und zur Kulturpolitik Jugoslawiens, Ivo Žanićs Untersuchung der Deutungen und Umdeutungen von Symbolen und Zeichen im Umfeld der Jugoslawienkriege, Florian Biebers politikwissenschaftliche Arbeiten zum serbischen Nationalismus und Holm Sundhaussens historische Beiträge zum Thema der jugoslawischen Nationalismen ins Feld führen, um die Bandbreite der geleisteten Vorarbeiten anzudeuten.
Terzićs Untersuchung weiß, all diesen vorausgehenden Forschungen zum Trotz, einen neuen Aspekt im vielbearbeiteten Thema ausfindig zu machen, der weniger mit der – nicht jedem Leser plausiblen – Vorgängigkeit der Kunst zu tun hat. Die Besonderheit des Buches liegt darin, dass es den spezifischen ‚Zeitgeist’ und den nationalistischen Alltag im zerfallenden Jugoslawien auf eine Weise einfängt, die bisher unberücksichtigt blieb, wenn von den Kriegen die Rede war. Terzić führt dem Leser die Perspektive des qua Alltag in die Ereignisse Involvierten vor Augen, wenn er Demonstrationen auf den Straßen, Fernsehbilder in den Wohnzimmern, halbprivate Protestaktionen, Konsumartikel, zeitnahe Romane und politische Redeperformanzen in seine Untersuchung mit einbezieht. Der Blick auf die Ereignisse, den die Untersuchung Terzićs nachstellt, ist der des beobachtend Beteiligten.

Der erste der drei Haupteile, das Kapitel „Kunst als Ernstfall“, behandelt – sich auf den (berüchtigten) Ästhetiker Bazon Brock berufend –, wie Künstler als machtvolle Agenten in die Welt des Politischen eingreifen und mehr oder minder ‚metaphorische’ Agitationen einleiten. Die Kunst ist nach Terzić – als von Grund auf radikales Begehren mit umstürzlerischem Potential – prädestiniert, Austragungsfeld des Politischen und der Veränderung zu sein. Terzić parallelisiert den fundamentalen Extremismus der Kunst (der ihr per se eigen sei) mit dem Extremismus der Realität (etwa in Jugoslawien in den 1990er Jahren). So lässt sich mit Hilfe dieses Parallelismus beschreiben, wie einerseits Kunst in Serbien die Realität als ‚höhere’ Wirklichkeit verbürgt (wenn zum Beispiel serbische Demonstranten mit Uroš Predićs Gemälde Kosovka devojka den NATO Angriffen begegnen), wie gleichzeitig aber durch die Dislozierung des Kunstobjekts die Realität als das letztlich entscheidendere (ausgerechnet von der Kunst) wieder eingesetzt wird. Zoran Terzić hat hier, insbesondere für Jugoslawien, einen Punkt, wenn er von der Verführung der Kunst durch das Reale spricht. Gerade im Umfeld der Jugoslawienkriege hat es eine Vielzahl von in der ‚Zwischenwelt’ von Kunst und Leben angesiedelten Aktionen gegeben, die es auszudeuten gilt und die Terzić als „extremistisch“ bezeichnet, weil sie „Grenzwerte“ auszuloten suchten. Wo endet Subversion und wird Affirmation? Was unterscheidet Konstitution von Destruktion? Überhaupt, was ist aus dem Wechselverhältnis von Kunst und Welt zu ziehen, wenn die gewohnten Denkrichtungen (etwa die, dass die Realität die Kunst beeinflusst und umgekehrt) vervielfältigt werden? Solche Fragen sind bisher viel zu selten – gerade für den von Terzić betrachteten Raum – gestellt worden. Terzić nun stellt diese Fragen, jedoch auf komplexe, mitunter auch intransparente Weise und versucht zu zeigen, wie die ‚extremistische’ Lust der Kunst an Grenzüberschreitungen, mit einer politisch und kulturell gewachsenen Haltung des „dissoluten Denkens“ (48), einer Haltung des „anything goes“ (50) Hand in Hand geht, die die jugoslawische Desintegration vorbereiten.
Hier stellt sich allerdings bereits die Frage nach der Spezifik dieser jugoslawischen anything-goes-Haltung. „Dieser Zustand, in dem »alles geht« – vergewaltigen, brandschatzen, plündern, saufen, töten, singen, lachen, foltern, morden usw. –, begründet einen indifferenten Anschauungsraum der absoluten, monströsen Freiheit“ (49). Das klingt tautologisch einleuchtend – gilt jedoch, nicht nur als Zirkelschluss, für so ziemlich jeden Krieg. Was lernen wir über Jugoslawien, wenn Terzić verkündet: „Der Fall Srebrenica ist im Grunde nur die Konsequenz dieses falsch verstandenen Anything Goes“ (50)? Hier wäre eine ausführliche Erläuterung der jugoslawischen Situation und die präzise Herleitung der kriegsvorbereitenden Geisteshaltung von Nöten, die über die Nennung der kontingenten politischen Gesamtlage im 20. Jahrhundert hinausgeht. Letztere nämlich teilten die jugoslawischen Regionen mit vielen anderen in (Ost-)Europa; für sich genommen genügt sie nicht, eine kriegsfördernde Haltung in der Bevölkerung zu begründen.

Das zweite Kapitel „Ernstfall als Form der Nation“ geht den „Vergegenwärtigungen des Ernstfalls“ (91) nach. Gerade nationale Begründungsmuster, so Terzić, begleiten die Strategien der Vergegenwärtigung, die den Krieg in Jugoslawien „beschwören“. Zu diesen Strategien gehört die Wiederbelebung der Vergangenheit – insbesondere der Weltkriege, die gewissermaßen Substrate historischer jugoslawischer Konfliktlinien sichtbar machen. Auch das Entstehen neuer Ästhetiken ‚vergegenwärtigt’ nach Terzić die jugoslawischen Nationalismen, die von der Musik (Turbofolk) über die Kunst (Retro-Avantgarde) bis zur allgemeinen Pflege eines neuen, ruralen Chics reichten. Eine weitere „Vergegenwärtigung“ findet der Verfasser im „Walten einer Inzidenzlogik“ (91).
Doch diese Strategien, die Terzić zu erkennen glaubt, sind problematisch. „Man schießt sich ein, bevor der erste Schuss fällt“ (93), heißt es apodiktisch in einem für den Stil des Buches typischen Wortspiel. Unklar bleibt aus den Ausführungen, wer die eigentlichen Agenten der Ernstfall-Beschwörung sind. Sind das die kulturellen und politischen Eliten? Die „Poetenpatrioten“ und „Autorenpolitiker“ (102), wie Terzić sie nennt? Welche Kräfte sind es, die Kunstproduktion, Massenmedien, Politik und Literatur im ehemaligen Jugoslawien zur Herausforderung des ‚Ernstfalls’ zwingen? Was ist die Logik, die hinter der wechselseitigen Beförderung von Kunst und Politik steckt?
Terzićs beliebig anmutende und auf die Bilder gemünzte Antwort auf diese Frage – dass nämlich alles mit Bildern angefangen habe, die wiederum Worte ermöglichten, die wiederum Erinnerungen generierten, die „neue Gewissheiten über Vergangenes produzierten“ (93) und darin die Gegenwart radikalisierten – fällt recht unbefriedigend, zudem auch banal postmodernistisch aus. Folgt man dem Verfasser, so bringt der Krieg die Narrative hervor, die ihn selbst erschaffen. Die Frage nach Henne und Ei formuliert Terzić um in die Idee eines „Kontinuums“ von „Kampf und Erzählung“ (93). Es wäre, wie an vielen Stellen des Buches, so auch hier, nicht nötig gewesen, umfassende, ‚große’ Erklärungen zu liefern, zu denen die Untersuchung neigt. Die Aufgabenstellung, kunstwissenschaftlich einen Blick auf die Produkte der Kultur und ihre Bezugnahme auf die geschichtlichen Ereignisse zu werfen, hätte ausgereicht, den aufgezeigten Zusammenhängen einen hinreichenden Rahmen zu geben.
Auch sind die Ausführungen mitunter so widersprüchlich, dass der Zusammenhang verloren geht. Warum eigentlich muss so ausführlich „vergegenwärtigt“ und „beschworen“ werden, wo doch das anything goes nach der Ära Tito bereits alles, auch den „Ernstfall“, möglich machte? Die ‚großen Würfe’, die Terzić dem Leser als Erklärungen zumutet, sind zudem begleitet von als Entdeckungen gefeierten Selbstverständlichkeiten. So widmet der Verfasser der kaum überraschenden Tatsache, dass historische Erinnerung wandelbar ist, unverhältnismäßig Raum und zeigt den Wechsel der kroatischen Haltung den Partisanen gegenüber (von „Serbokommunismus“ zu kroatischem Patriotismus) auf. Es folgt ein etwas parteiisch wirkender (weil einseitiger) Parcours durch die serbisch-nationalistische Literaturproduktion der späten 1970er bis 90er Jahre. (Eine nationalistische oder als solche deutbare Literatur hat es natürlich auch in anderen jugoslawischen Teilrepubliken, wenn vielleicht auch weniger ausgeprägt gegeben.) Während es zweifelsohne wichtig ist, die Literatur als Ort des Nationalismus zu berücksichtigen, kann man dennoch einwenden, dass sie sich retrospektiv leicht als illegitim lesen und im vertretenen Geschichtsbild kritisieren lässt. Der Fall Ivo Andrić aber hat gezeigt, dass Lektüren, die die Historie eines kulturellen Raums von ihrem aktuellen Ende her lesen und dabei ausgerechnet literarische Texte als Quellen heranziehen, der Literatur (als Kunst) nicht gerecht werden. Terzić, der Kunstwerke und als Kunst gedeutete Phänomene sehr differenziert im Wechselspiel von Ästhetik und Politik liest, wird bei der Literatur eindimensional. Die Differenzierung zwischen Romanen, die als frühe ‚Wegbereiter’ von Nationalismus interpretiert werden und Hetzliteratur, die sich auf explizit demagogische Weise in die zeithistorischen Fronten einschreibt, ist expliziter als bei Terzić der Fall dringend nötig. Selbstverständlich aber prangert er völlig zu Recht die Affiliation zwischen Politik und Dichtung an, für die die SPO und ihre Mitglieder stehen und um die es ihm bei der Darstellung des geistigen Milieus ebenfalls geht.
Die auf die Ausführungen zur Literatur folgende Zusammenstellung symbolischer und motivischer Ausdrücke einer von der Kunst absorbierten und mitbeförderten Nationalisierung stellt einen der interessantesten Teile der Untersuchung dar. So lesen wir von der Entstehung (und der künstlerischen Umsetzung) des serbischen Dreifingergrußes und von der neuen Bedeutung der Knochen in der Kunst und Nationalkultur. Bedauerlichweise widmet sich der Verfasser den diversen Umbettungsaktionen von Gebeinen, die zur Semantisierung der Knochen im ex-jugoslawischen Raum beigetragen haben, nicht in der Ausführlichkeit, die man sich vor dem Hintergrund seines Faches an dieser Stelle wünscht. Gerne läse man mehr zur Beobachtung, die „Aneignung und Verfügbarkeit von Geschichte“ manifestiere sich in der „Mobilität der Knochen“ (111). Die Fortführung des Themas fällt prätentiös und zudem nicht nachvollziehbar aus. Warum Knochen zu Trophäen im psychoanalytischen Sinne der „symbolischen Selbstergänzungen“ (111) werden, wie Terzić behauptet, wie sich die Knochen, die von Demonstranten in Beograd 1996 Polizisten vor die Füße geworfen wurden, in das ‚Knochenthema’ der Zeit einfügen und was es eigentlich mit der Putzfrau auf der Biennale in Venedig, wo Marina Abramovićs Knocheninstallation „Balkan Baroque“ ausgestellt war, genau auf sich hat, bleibt unausgesprochen. Gerade hier hätte Terzić wertvolle Deutungsarbeit leisten können, die die Einzelerscheinungen gemeinsam interpretiert und zu neuen von der Kunst aus perspektivierten Einsichten führt. Stattdessen aber verzichtet der Verfasser auf nähere Deskription des Materials wie auch auf Erläuterungen zum argumentativen Mehrwert zitierter Literatur. Offenbar geht er, hier wie an anderen Stellen des Buches, davon aus, dass die Leser Ausstellungsobjekte von Biennalen ebenso vor Augen haben, wie Kants Schriften und die Maximum Stress Cooperation Abläufe im menschlichen Körper.

Das dritte Kapitel „Nation als Kunstform“ fasst den Nationalstaat als ein Kunstwerk auf, an dem laufend weiter gearbeitet wird und für dessen Aufbau Parameter wie Identität, Zeit sowie Mythen der Nation entscheidend sind. Kunstwerke, die sich mit nationalen Themen und Mythen beschäftigen, etablierten nicht nur künstlerisch einen Beleg der (nationalen) Realität, auf die sie sich beziehen und stützen diese darin. Sie schaffen auch eine Hyperrealität, die die Realität übertrumpft und das „historische Wollen“ (233) manifestiert, welches eben die Geschichte überdauert. Terzić entwickelt hier die These, historisches Erinnern funktioniere, jedenfalls im Bereich des Nationalen, über die Herstellung einer Realität, die echter als die ‚eigentliche’ Realität ist. Da wir aus der Nationalismusforschung die Bedeutung der Etablierung einer nationalen Emblematik, die Wichtigkeit nationaler Fundierung in Ursprungsmythen oder den Stellenwert nationaler Narrationen bereits kennen, die die zeitlichen wie territorialen Grenzen der Nation markieren – somit die Palette des von der Konstruktivismuseinsicht Erfassten – ist an Terzićs Versuch vor allem hervorzuheben, dass er keinen jugoslawischen Sonderweg postuliert. Terzić verzichtet darauf, balkanische Dispositionen zum kriegerischen Verhalten aufzurufen, wenn er sich mit Nationalismus und Staatszerfall in Jugoslawien befasst. Dies ist umso erstaunlicher, als die bemühte Idee von der Hyperrealität von der oralen Epikforschung zu Beginn des letzten Jahrhunderts für die in Rede stehenden Räume als kulturelle Eigenheit eingeführt wurde. Maximilian Braun hat in Das serbokroatische Heldenlied an der mündlichen Volksliedtradition gezeigt, wie in den südslawischen Liedern eine „gesteigerte Wirklichkeit“ ersungen wird, in der die Helden Lazar oder Marko agieren und die kulturspezifisch sei. Gerade die Akzeptanz dieser gesteigerten Wirklichkeit wurde nicht selten als unverhältnismäßiger Glaube der Serben, aber auch anderer Südslawen, an ihre kulturellen Mythen gedeutet, der den Nationalismen der 1990er in die Hand spielte. Terzić hingegen interessiert sich für die Begründungslogik der künstlerischen Moderne, die eben der Kunst glaubt, weil Geschichte nicht bewiesen werden kann. Terzićs Berufung auf Modernitätskonzepte bedeutet den begrüßenswerten Verzicht auf die Suche nach balkanisch-vormodernen Rudimenten. Das letzte Kapitel „Widerhall des Nationalen“ fasst die Auffassung des Nationalismus als ästhetischem Phänomen aus den drei Hauptteilen zusammen und bringt das Fazit noch einmal auf den Punkt. Die „Balkankriege“ seien „Hochkulturkriege“, die ihre „Inhalte“ aus „Geschichts- und Kulturdiskursen“ (320) beziehen.

Zoran Terzić hat mit Kunst des Nationalismus ein schwer verständliches Buch vorgelegt. Der Verfasser verfährt assoziativ, letztlich stehen unter dem Strich eher aphoristische Pointen statt wissenschaftliche Befunde. Zugegeben ist das Unterfangen, Kunst im Feld diskursiver (politischer) Macht zu repositionieren, nicht einfach – insbesondere dann, wenn disparates Material Grundlage der Überlegungen bildet. Hier fehlen methodische und theoretische Rahmungen, die es erlauben, Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Ebenen herzustellen.
Diesen Mangel verwechselt Terzić jedoch leichtfertig mit einer Lizenz, nahezu alle Maßstäbe wissenschaftlichen Arbeitens über Bord werfen zu können. Der Stil ist thetisch, die Argumentation nicht selten apodiktisch. So finden sich in der Untersuchung Sätze wie: „Ein Aufklärer, der sich selbst nicht versteht, ist ein Demagoge.“ (320). Starke Thesen, wie jene, Krieg sei „»globale« MSC-Entladung“ (320) – eine weltweite Stressreaktion also – und fragwürdige Aussagen (ein Beispiel: „Aus jedem spezifischen Phänomen  können allgemeine Erkenntnisse gefolgert werden, wenn man sich an die phänomenale Umgebung der Sache, die man untersucht, gewöhnt“, S. 318) bestimmen das Buch. Die Auslassung wichtiger Informationen zu den Untersuchungsgegenständen (etwa die genauere Beschreibung erwähnter Kunstwerke und Aktionen) wird flankiert von ausführlichen Leserbelehrungen in überflüssigen Wissensinputs (wie die Zusammenfassung der menschlichen Stressphysiologie, S. 88, oder die Ausführungen zum deutschen Afrikarassismus, S. 228). Problematisch ist ebenfalls die durchgängige Unterfütterung gemachter Argumente mit dekontextualisierten ‚Belegen’ aus der Philosophie, die nicht selten den roten Faden vielmehr in den Hintergrund der Arbeit treten lassen, als dass sie ihn markierten. Dieser extensive Einsatz von argumenta ex auctoritas (Beispiele, die den Gestus verdeutlichen, sind: „frei nach Vilém Flusser“, S. 234, oder „dies erkennt Friedrich Nietzsche, wenn er [...]“, S. 13) muss der Untersuchung schlicht angekreidet werden. Die wissenschaftlichen Benimmregeln sind dort endgültig überschritten, wo der Verfasser einen eigenen Satz (im Übrigen einem Zitat Goethes zur Seite gestellt) einem Kapitel als Motto voranstellt („Menschliche Überreste sind nie menschlich. Der Verfasser“, S. 110).
Auch sind Terzićs argumentative Bögen zu weit gespannt, um noch sinnvolle Brücken zu ergeben. Im Versuch, eine „Demokratisierung des Blicks“ durch das Einbeziehen „vermeintlich unwesentlicher Details“ (317) zu erwirken, verzweigt sich die Untersuchung mitunter zur Unverfolgbarkeit. Gleichzeitig bereitet eben dieser Anspruch den Weg zu der Leistung, die das Buch tatsächlich vollbringt. Wo hat man zuvor von kroatischem Schokoladeneinwickelpapier für den Wiederaufbau Vukovars, von Emir Kusturicas serbischem Ethnodorf und den in Karten visualisierten demographischen Verhältnissen Bosniens, noch dazu gleichzeitig und unter dem Dachthema des jugoslawischen Nationalismus, gelesen?

Grundsätzlich ist dem Verfasser in seinen Kernaussagen zuzustimmen: Kunst und Kulturproduktion formen Politik mit; historisches Geschehen ist simultan als deutbares Artefakt begreifbar. Die wechselseitigen Zusammenhänge sind wichtig für das Verständnis der Ereignisse in Jugoslawien, die darüber hinaus aber im Wesentlichen aus Imperativen der Moderne und nicht aus balkanischen Spezifika abgeleitet werden müssen. Ob der Leser aber die Auffassung über die Sezessionskriege, der „im Feld kämpfende Paramilitär“ habe das „libertäre Ansinnen eines Künstlers“ (50), teilen kann, bleibt dahingestellt. Srebrenica als Verquickung künstlerischer Freiheit mit politischer Ideologie (50) zu betrachten, nimmt sich vor allem aus der Warte der Opfer solcher Formen nationalistischer ‚Kunst’ selbst wiederum so viel an Freiheit heraus, dass man berechtigt dagegen Einspruch erheben kann.

Rezensiert von Miranda Jakiša (Institut für Slawistik, Humboldt-Universität zu Berlin)
miranda.jakisa@slawistik.hu-berlin.de

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