Biologismus
Biologistische Deutung nationaler Konzepte. Das Fallbeispiel des griechischen Nationaldiskurses in der ersten Hälfte des 20. Jh.s.
Gefördert von der DFG
Leiter: Prof. Dr. Holm Sundhaussen
Wissenschaftliche Mitarbeiterin:
Dr. Sevasti Trubeta
Laufzeit: 1.1.2004 - 31.12.2005
Ziele
Das Vorhaben befasst sich mit den biologistischen Komponenten von Nationskonzepten und zielt auf die Veranschaulichung von Prozessen, mittels derer solche Konzepte im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik und unter Berücksichtigung persönlicher Karriereambitionen entworfen bzw. verhandelt werden. Bei einer kritischen Rekonstruktion des Einsatzes positivistischer bzw. biologistischer Ansätze zwecks Herstellung und Legitimation von Großgruppengenealogien soll speziell der Wechselwirkung von biologi(sti)schen und soziokulturellen Komponenten bei der Konzipierung der Großgruppe „Nation“ nachgegangen werden.
Im Zentrum der Untersuchung steht der griechische Nationaldiskurs in der ersten Hälfte des 20. Jh.s. und insbesondere die im Rahmen der Hellenischen Anthropologischen Gesellschaft (1924-1969) verhandelten Nationskonzepte. Diese Institution war durch zweierlei gekennzeichnet: zum einen durch den intellektuellen und institutionellen Anschluss an den europäischen (vornehmlich den deutschen) biologistischen Diskurs und zum anderen durch ihr griechisch-nationales Profil. Daher sollen die im Rahmen der Anthropologischen Gesellschaft diskutierten biologistischen Argumentationsmuster nationaler Zuordnung zunächst in einem umfassenden europäischen Diskurs verortet und anschließend die spezifischen Züge der Umsetzung in die griechische Realität ermittelt werden. Besondere Aufmerksamkeit wird hierbei der Kategorie der Phyle gewidmet, als einem spezifisch griechischen, grundsätzlich mit Nation assoziierten Begriff, der jedoch auch naturalistisch-biologistische Konnotationen trägt. Phyle weist einen variablen Sinngehalt auf, indem sie eine Synthese von jeweils variierender Gewichtung des enthaltenen Natur-, Kultur-, und Sozialaspekts darstellt.
Ein Aspekt, der den griechischen Fall besonders interessant für eine solche Untersuchung macht, ist die ambivalente Wahrnehmung Griechenlands im europäischen Diskurs der Untersuchungszeit: einerseits als „Wiege“ der „europäischen Zivilisation“ (worauf ein Baustein des europäischen Selbstbilds basiert) und anderseits als „Balkanland“, aufgrund dessen ihm Zivilisationsdefizite beigemessen werden; zugleich wurde die Rassenreinheit und -kontinuität der zeitgenössischen Griechen durch den westeuropäischen Rassendiskurs geleugnet.
Anhand von einzelnen Biographien der Protagonisten der Anthropologischen Gesellschaft und v.a. deren Präsidenten, Ioannis Koumaris, wird ferner untersucht, wie griechische Intellektuelle diese ambivalente Wahrnehmung zu bewältigen versuchten und welche Rolle Karriereambitionen und persönliche Interesselagen dabei spielten.
Methoden
Die geplante Diskursanalyse stützt sich zum überwiegenden Teil auf die Erhebung von Primärmaterial aus den Archiven einschlägiger wissenschaftlicher Einrichtungen sowie auf zeitgenössische Publikationen.