Birgit Bock-Luna:
The Past in Exile. Serbian Long-Distance Nationalism and Identity in the Wake of the Third Balkan War.
Berlin: Lit Verlag, 2007. ISBN: 978-3-8258-9752-9; 254 Seiten. Euro 29,90.-
Spätestens seit Paul Hockenos Buch „Homeland Calling“ ist nicht nur der wissenschaftlichen Öffentlichkeit die Bedeutung der (ex-)jugoslawischen Migrantengruppen für die nationalistische Mobilisierung in der ehemaligen Heimat bewusst.[1] Kroatische, kosovo-albanische, serbische, slowenische und makedonische Emigranten begeisterten sich in der Ferne für ihre Nation und eilten zu ihrer Unterstützung, sei es, indem sie für humanitäre aber auch militärische Zwecke Geld spendeten oder in ihrer neuen Heimat Lobbying für die Belange ihrer Nation betrieben. Doch trotz der Einsicht, dass Migranten eine nicht unbedeutende Rolle für den Nationalismus im ehemaligen Jugoslawien gespielt haben, ist die Forschungslandschaft zu diesen Fragen noch sehr überschaubar. Umso willkommener ist daher die hier besprochene Studie – trotz des irreführenden Titels, da es sich natürlich nicht um einen „Dritten Balkankrieg“, sondern die Kriege im ehemaligen Jugoslawien handelt.
„The Past in Exile“ stellt Birgit Bock-Lunas anthropologische Dissertation dar, die sie im Jahr 2005 an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) verteidigt hat. Ihr zentrales Forschungsthema ist der „long-distance nationalism“ serbischer Emigranten in den USA, wobei es ihr sowohl um Fragen der Identitätskonstruktion sowie der Rolle der serbischen „Diaspora“ für die nationale Mobilisierung geht. Die Untersuchung beruht auf Forschungen in der Gegend von San Francisco, wobei Interviews mit 18 Männern und 13 Frauen, die zwischen 2000 und 2002 von der Autorin geführt worden sind, den empirischen Kern der Arbeit ausmachen. Dazu kamen informelle Gespräche und teilnehmende Beobachtung, zum Beispiel bei Feiern der serbischen Migrantengemeinde. Die Interviewten gehören unterschiedlichen Gruppen von Emigranten an: Acht sind als Flüchtlinge des Zweiten Weltkriegs in die USA gekommen, drei während der 1960er und 1970er Jahre, jeweils acht in den 1980er und den 1990er Jahren; vier Gesprächspartner(innen) gehören der zweiten bzw. dritten Generation an. Damit sind die wichtigsten Etappen serbischer (jugoslawischer) Migration seit dem Zweiten Weltkrieg vertreten, was für die Fragestellung essenziell ist, da die Autorin insbesondere der Zusammenhang zwischen Erfahrungen, Narrativen über die Vergangenheit und gegenwärtigen Imaginationen der Nation interessiert. Damit ist auch klar, dass die Autorin nationale Identifikation nicht als etwas Statisches begreift, sondern als sich wandelndes Ergebnis eines komplexen Prozesses. Angesichts des überschaubaren Samples und der problemorientierten Fragestellung erhebt Bock-Luna auch nicht den Anspruch, über die „Serben in den USA“ Aussagen zu treffen. Ganz wird sie diesem methodologischen Kredo aber nicht gerecht, denn an einigen Stellen ist doch von „vielen serbischen Emigranten“ oder „die Serben in den USA“ die Rede, ohne entsprechende repräsentative Daten zu erwähnen.
Nach den methodologischen Erläuterungen folgen Begriffsbestimmungen sowie ein leider völlig misslungener (siehe unten) historischer Rückblick auf die Geschichte Jugoslawiens sowie die Emigration von Serben in die USA. Long-distance nationalism definiert die Autorin als „politisches Prinzip mit unterlegten politischen und historischen Forderungen“ (22), das mehr ist als die Identifikation mit der alten Heimat. Den Begriff „Dispora“ verwendet Bock-Luna nicht als kategorielle Zuschreibung, sondern weil viele ihrer Gesprächspartner sich selbst als Angehörige einer solchen präsentierten, z.B. indem sie das Schicksal der Serben mit dem der jüdischen Diaspora vergleichen. Die Diaspora ist also eine Gemeinschaft des Leides. Diese Haltung ist insbesondere in den post-jugoslawischen Kriegen verstärkt worden, die Bock-Luna demnach als wesentliches Movens für die (Re-)Aktualisierung einer serbischen nationalen Identifikation heraus arbeitet.
Thematisch gliedert sich das Buch in drei Hauptteile: „Identität im Exil“ (43–129), „Leben in der Vergangenheit: Die Rolle des Zweiten Weltkriegs“ (130–181) und „Verschwörungstheorien, Zukunftsvisionen und die Internationale Gemeinschaft“ (182–231). In den Kapiteln dieser Themenblöcke präsentiert die Autorin zum Teil interessante Fallstudien, die Einblicke in die bisweilen obskure Welt der serbischen „Diaspora“ in den USA erlauben. Die detaillierte Wiedergabe von Identitätsentwürfen serbischer Migranten, welche die Autorin im Rahmen ihrer Studie interviewt hat, liefert Bausteine für eine Antwort auf die zentrale Frage, warum Menschen, die tausende Kilometer von der „Heimat“ entfernt wohnen, diese vor vielen Jahrzehnten verlassen haben oder gar nicht erst dort geboren worden sind, und häufig keine intensiven Kontakte mehr nach und in Serbien haben, dennoch extrem nationalistische Positionen einnehmen können. Gleichzeitig macht die Autorin aber klar, dass ein Teil der Migranten sich von Serbien bzw. dem Nationalismus distanziert. Und die aktive Diaspora-Politik ist ohnehin nur das Metier einer kleinen, aber dafür umso lauter auftretenden Minderheit unter den Emigranten.
So diskutiert die Autorin in den ersten beiden Kapiteln „Being Serbian in the United States“ und „Unmaking of the Yugoslavs“ ein breites Spektrum von Identifikationen, die vom extremen serbischen Nationalismus bis zu explizit antinationalistischen Positionen sowie jugoslawischen Residualidentitäten reichen. Die Kriege der 1990er Jahre sowie die schlechte Presse, die Serbien in den USA hatte, übten aber einen großen Druck hin zur Solidarisierung mit der serbischen Sache aus, selbst unter kritisch denkenden Intellektuellen. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen darüber, was denn nach Ansicht der Informant/innen Serbischsein konstituiere: Vielfach werden die Serben als obstinat konstruiert, die sich durch besondere Impulsivität und Sentimentalität auszeichnen würden, die Außenstehenden nicht zugänglich sei (51ff.) – die Serben also nicht als ethnische Gruppe, sondern als „community of sentiment“ (60).
Auf die Diskussion verschiedener Identitätsoptionen folgt die Erörterung der Aktivitäten des Serbian Unity Congress (SUC), der in den 1990ern wichtigsten serbischen Diasporaorganisation, deren Wirken aber letztlich keinen Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik ausüben konnte. Die Ausführungen stützen sich dabei v.a. auf eine kritische amerikanische Studie (von Brad Blitz) über den SUC, das erwähnte Buch von Paul Hockenos sowie die naturgemäß affirmativen Schilderungen des Mitbegründers dieser Organisation Michael Djordjevich, der 1956 in die USA eingewandert ist und ökonomisch reüssiert hat (hier und bei anderen Biografien wäre mehr Distanz zum Gehörten durchaus angebracht gewesen). Leider erörtert die Autorin die an dieser Stelle interessante Frage der Bedeutung der Politik Serbiens gegenüber „seinen“ Emigranten nicht: Immerhin gibt es seit 1951 eine Matica für die Emigranten aus Serbien, die v.a. in Übersee aktiv (gewesen) ist, und es existiert auch ein serbisches Ministerium für die „Diaspora“. Haben diese Institutionen irgendeinen Einfluss auf die Emigranten und ihre Identifikationsmuster gehabt? Ebenso angeboten hätte sich der stärkere Vergleich der Tätigkeiten des SUC mit derjenigen anderer „jugoslawischer“ Emigrantenorganisationen, wie der Kroaten und Kosovo-Albaner, die offenkundig erfolgreicher waren.
Die nächsten Kapitel widmen sich unterschiedlichen Aspekten der Erinnerung, wobei die Autorin von der überzeugenden These ausgeht, dass Geschichtsbilder von hervorragender Bedeutung für die nationale Identifikation sind. Auf der Basis von drei relativ willkürlich ausgewählten, aber dennoch erhellenden Fallbeispielen legt Bock-Luna diese Ausgangsthese dar. Alle drei Informant/innen sprechen in ihren Narrativen ausführlich vom historischen Schicksal der Serben, aus dem sie ihre eigene Identifizierung entwickeln. Ein Informant, ein orthodoxer Priester, betätigt sich sogar als Hobbyhistoriker. Das verbindende Element der analysierten Lebensgeschichten ist die Gewalt, welche in diesen Narrativen die Familien der Gesprächspartner ebenso wie die Nation als Ganze, vor allem im Zeiten Weltkrieg, erfahren hat. Insofern bestätigen die Serben in der Emigration den in Bezug auf das ehemalige Jugoslawien häufig gemachten Befund, dass die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg essenziell für die Interpretation der nationalen Mobilisierung und die Gewalteskalation der 1990er ist. Von zentraler Bedeutung ist dabei auch in der Emigration der Topos Jasenovac, der dazu dient, das Schicksal der Serben und der Juden zu parallelisieren.
Bock-Luna zeigt dabei nicht nur die Bedeutung von verbalisierten Erinnerungen auf, sondern betont auch – im Sinne einer „Architecture of Memory“ (Kapitel 5) – die materielle Seite der Erinnerung: Ihre Gesprächspartner schmücken ihre Häuser mit diversen Erinnerungsstücken aus der alten Heimat. Diese Fragestellung nach dem materiellen Ausdruck nationaler Identifizierung scheint tatsächlich relevant für die Internalisierung nationaler Symbole und hätte eine eingehende Erörterung verdient, die über die geschilderten, nicht allzu überraschenden Praktiken hinausgeht („I met many other Serbs who furnished their homes with photographs of parents, grandparents or other family members, and birthplace houses or paintings of villages and homes“, 167). Hier und an anderen Stellen wäre es fruchtbar gewesen, die offensichtliche Banalität des Nationalismus und seines Ausdrucks eingehender zu diskutieren.
Ein wichtiger Aspekt der Geschichtsbilder, den Bock-Luna im aufschlussreichen, Theorie und Empire gelungen verschränkenden Kapitel 6 diskutiert, ist die Rolle von Verschwörungstheorien. Diese reduzieren nicht nur die Komplexität des historischen Verlaufes, indem sie klare Schuldzuweisungen vornehmen, sondern haben auch einen starken Bezug in die Zukunft; sie funktionieren wie klassische Mythen. Im konkreten Fall erhalten die unter serbischen Emigranten populären Verschwörungstheorien, die im Großen und Ganzen denen in Serbien ähneln, eine besondere Validität durch die Existenz akademischer und publizistischer Literatur, die ähnlich argumentiert. So wurde das Buch „To kill a nation“ von Michael Parenti, Professor für Politikwissenschaft, regelrecht zur Pflichtlektüre und Verschwörungstheoretiker konnten sich auf so prominente Wissenschaftler wie Noam Chomsky berufen. Bock-Lunas Gesprächspartner bezogen sich wiederholt auf diese Texte, die einen Kontext der Legitimität schaffen.
Die oftmals durch diverse anti-serbischen Verschwörungen bestimmten Vergangenheitsbilder müssen aber nicht zwangsläufig zu pessimistischen Zukunftseinschätzungen führen, wie die Autorin im anschließenden Kapitel über „Imagening the Future in the Light of a Violent Past“ darlegt. Anhand von vier Fallbeispielen zeigt sie zum einen, dass Erinnerung ein wesentlicher Bestandteil der Zukunftserwartungen ist. Die konkreten Ergebnisse können aber, zum anderen, sehr unterschiedlich sein: Von der Betonung der Notwendigkeit des Kampfes der Serben um das Überleben angesichts der vermeintlichen islamischen Bedrohung bis hin zur Distanzierung von Nationalismus. Drei ihrer vier Gesprächspartner formulieren schließlich eher versöhnliche Vorstellungen von der Zukunft – warum allerdings diese vier Personen ausgewählt wurden, wird nicht klar.
Neben den erwähnten interessanten Einblicken hat das Buch leider auch eine Reihe von Unzulänglichkeiten zu bieten. Zum einen wirkt das Narrativ recht inkohärent, auch aufgrund der wechselnden Akteure, was angesichts des sehr individualisierten Zugangs dazu führt, dass die einzelnen Kapitel von unterschiedlichen Sprechern getragen werden. Auch hätte man sich eine stärkere Kontextualisierung des serbischen long-distance nationalism, etwa durch systematische Vergleiche mit den Befunden von Hockenos oder Loring Danforth gewünscht.[2] Bei den dargestellten Identitätsentwürfen stellt sich die Frage, ob sie – und wenn ja, was – spezifisch für die serbischen Emigranten in den USA sind oder ob man nicht ähnliche Befunde unter Serben im Wedding finden würde. Diese Einwände können aber unter den für publizierte Dissertationen durchaus typischen Defiziten abgebucht werden. Schwerer wiegt die große Zahl faktischer Fehler, insbesondere im kurzen historischen Abriss, bei dem sich die Autorin allzu offensichtlich auf unvertrautes Terrain begibt. Außerdem ist der historische Überblick schlecht in das Buch integriert ist und sagt allzu wenig über die Geschichte der serbischen Auswanderung in die USA aus.
Um einige Beispiele für Irrtümer zu erwähnen: Das berüchtigte NDH-Konzentrationslager befand sich nicht in Jasenovać, wie immer wieder behauptet, sondern Jasenovac – dementsprechend gab es auch keine „Jasenovać debate“ (156ff.); Jugoslawien existierte nicht seit 1917 (13, Fn. 6); das Kgr. SHS war auch kein „föderaler Staat“ (25), noch wurde Stjepan Radić im Jahr 1941 erschossen (26), und Ante Pavelić hat nicht erst 1941 die Ustaša-Bewegung in Zagreb gegründet (26). Serben und Kroaten haben vor 1918 sehr wohl auch in einem Staat gemeinsam gelebt, allerdings hieß dieser Österreich-Ungarn und nicht Österreich (24). Im Zweiten Weltkrieg, der in den Interviews so prominent figuriert, war das besiegte Jugoslawien keineswegs nur in „zwei separate Territorien“ (den NDH und das deutsche Besatzungsgebiet) geteilt (26). Man könnte diese Liste noch fortführen, denn durch das ganze Buch ziehen sich faktische Fehler – so wird die aus der Schweiz stammende ICTY-Chefanklägerin Carla del Ponte zur Spanierin (144), das österreichische Bleiburg slowenisch (156) und Dubrovnik scheinbar serbisch (38). Das Tudjman-Regime konnte nicht schon seit den „späten 1980ern“ von der rechten kroatischen Diaspora mit Waffen und Geld versorgt werden (113, Fn. 78), da es erst 1990 an die Macht kam.
Der Band hinterlässt somit einen zwiespältigen Eindruck: Zum einen enthält er viele interessante Fallbeispiele zu einem Thema, das noch nicht eingehend erforscht worden ist. Insofern betritt Bock-Luna wissenschaftliches Neuland; zudem war ihr Zugang sehr offen gestaltet, so dass sie aus den Interviews und Beobachtungen heraus neue Fragen entwickelte, die sich als zentral aufdrängten, obwohl sie im ursprünglichen Forschungsdesign nicht vorgesehen gewesen waren. Lobenswert ist auch die Selbstreflexivität der Autorin, die zum Beispiel ihre politische Position (sie lehnte das NATO-Bombardement Serbien 1999 ab und beklagt auch die ihrer Ansicht nach einseitigen Schuldzuweisungen an die Serben im bosnischen Krieg) klar offen legt – man muss diese Position nicht teilen (wie der Autor dieser Zeilen, der zum Beispiel nicht bezweifelt, dass es sich in Bosnien-Herzegowina um ein versuchtes Genozid an den Muslimen gehandelt hat; siehe S. 38), aber es ehrt die Autorin klar zu machen, welche Positionen sie vertritt. Angesichts dieses Potenzials des Buches sind die vielen Fehler und Unklarheiten umso bedauerlicher, wären sie ja bei einer sorgfältigen Überarbeitung der Dissertation sowie einem genauen Blick in Holm Sundhaussens „Geschichte Jugoslawiens“ leicht zu beseitigen gewesen.
Rezensiert von Ulf Brunnbauer (Osteuropa-Institut, Berlin)
Email: ulf@zedat.fu-berlin.de
[1] Paul Hockenos: Homeland calling: exile patriotism and the Balkan wars. Ithaca, NY u.a.: Cornell University Press, 2003.
[2] Hockenos, Homeland calling; Loring M. Danforth: The Macedonian conflict: ethnic nationalism in a transnational world. Princeton, NJ: Princeton University Press, 1995.