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1960er am Osteuropa-Institut. Aufbruchstimmung

1968 am Osteuropa-Institut

Die 1960er Jahre waren in vielerlei Hinsicht eine Zeit des Aufbruchs: die Proteste gegen den Vietnamkrieg, die Antiautoritäre Bewegung, demokratische Aufbrüche im Osten, die Niederschlagung des Prager Frühlings. Neue Lebensweisen wurden gefordert und ausprobiert. Studentinnen und Studenten in Berlin waren besonders aktiv in dieser Bewegung. Viele bekannte Namen sind eng mit der FU Berlin verbunden.

Auch am Osteuropa-Institut fand dies seinen Niederschlag. Allerdings stand das Institut nicht so im Zentrum der Proteste wie das benachbarte Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft. Zugleich wandelte sich der Blick auf Osteuropa. Nur zwei Jahre später erkannte die Bundesrepublik mit der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags die deutsche Ostgrenze 25 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs an. Willy Brandts Kniefall in Warschau vor dem Mahnmal im ehemaligen Ghetto markierte eine neue Phase der Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld.

Ein konservatives Institut?

In den Gründungsjahren des Instituts dominierten NS-belastete Professoren am OEI. Mit dem Marxismus-Leninismus-Projekt kamen wichtige Impulse aus der deutschsprachigen Exilwissenschaft und der US-amerikanischen Forschung nach Berlin. Linke Intellektuelle wie Franz Neumann und Herbert Marcuse befanden sich in einem jahrelangen Dialog mit den Vertretern des OEI. Der Historiker Werner Philipp begann Anfang der 1960er Jahre selbstreflexiv den Bruch mit der Ostforschung öffentlich zu fordern und neue Wege der Osteuropa-Forschung aufzumachen. Der Soziologie-Professor Hans-Joachim Lieber, von 1965 an auch Rektor der FU, prägte eine Generation progressiver Wissenschaftler, wie z.B. René Ahlberg und Klaus Meschkat. Zu seinen Studenten zählte auch Rudi Dutschke.

Die Dutschkes am OEI

Zwei zentrale ProtagonistInnen der Studentenbewegung studierten am OEI: Gretchen und Rudi Dutschke. Rudi Dutschke war zudem studentische Hilfskraft in der Abteilung Soziologie des Instituts. Das Ehepaar engagierte sich im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Gretchen Dutschke-Klotz war Mitbegründerin des Arbeitskreises Frauen im SDS, einer Keimzelle der deutschen Frauenbewegung. Als Studierende waren Gretchen und Rudi Dutschke nach der Wahl Alexander Dubčeks in Prag und erlebten als AugenzeugInnen die Tage des Prager Frühlings.

1969: Streik am Osteuropa-Institut

Aus der außerparlamentarischen Opposition und den studentischen Hochschulbünden kommt es in der Zeit von 1967 bis 1969 immer wieder zu Streiks an Berliner Universitäten. Gestreikt wurde u.a. gegen die Einführung von Studiengebühren, für ein größeres Mitspracherecht an den Hochschulen oder für eine Politisierung des Lehrbetriebs. Nicht zuletzt war es ein Konflikt der Generationen, wie es sich auch an der Kommunikation zwischen den Studierenden und Prof. Werner Philipp während der Streiks am OEI Anfang 1969 zeigte:

Es ist Freitag, der 17.01.1969, der Ordinarius für slavische Sprachen Prof. Bräuer (1921-1989, deutscher Slavist, ab 1964 Professor an der FU) soll seine Vorlesung abhalten. Doch daraus wird nichts. Die Eingangstür des kleinen Hörsaals des Osteuropa-Instituts ist mit zwei Tischen verbarrikadiert. Studierende der Slawistik lehnen sich zusätzlich von innen gegen die Tür. Eine Durchführung der Vorlesung ist nicht möglich. Auch die Vorlesungen des damaligen Direktors des OEI, Werner Philipp, können an diesem Tag nicht wie geplant stattfinden. Die Streikenden verlangen ein Ende laufender Relegierungsmaßnahmen gegen einzelne Studierende und grundlegende Lehrplanänderungen. Darüber hinaus fordern sie eine allgemeine Politisierung der Studierendenschaft und greifen das Institut direkt an, welches in „friedlicher Symbiose mit Geheimdiensten“ lebe. Überschrieben sind die Forderungen mit: „Im Osteuropainstitut ist endlich was los!“ Erfreut zeigt sich der Streikrat, dass die Slawistik-Studierenden - von denen laut eigener Aussage bis vor einer Woche angenommen wurde, sie seien „weltfremd, unpolitisierbar, gutgläubig, naiv usw.” - nun den „Mythos unüberwindlicher studentischer Polit-Lethargie“ erfolgreich beseitigt hätten.

In den folgenden Wochen werden einzelne Räume und Vorlesungen immer wieder bestreikt. Das Institut reagiert mit Unverständnis. In einem Aushang äußern einige Mitarbeitende des Instituts die Sorge, dass die Unterstellung einer Kooperation mit dem Verfassungsschutz ihnen Reisen ins sowjetische Ausland erschweren könne. Werner Philipp fordert den Rektor der FU Prof. Dr. Ewald Harndt auf, Anzeige wegen übler Nachrede gegen das OEI zu erstatten. Dieser Bitte kommt der Rektor nicht nach und verweist auf seine fehlende Zuständigkeit. Das Vorgehen als solches befürwortet er aber.

Der letzte aktenkundige Streik dieser Periode am OEI erfolgt am 10.07.1969, als fachfremde Studierende die Übung von Prof. Bräuer übernehmen. Werner Philipp lässt die Übung von der im Haus stationierten Polizei räumen. Die Streikenden geben den Raum schließlich frei, die Fronten bleiben verhärtet.