Philologie der Hand
Susanne Strätling
Was ist eine Philologie der Hand? Die Wissenschaftsgeschichte der Philologien kennt eine Ohrenphilologie und eine Augenphilologie. Die sogenannte Ohrenphilologie konzentriert sich auf die Tonalität der Dichtung, die Augenphilologie beginnt bei der basalen Tatsache, dass Texte, die lesbar sein wollen, in erster Linie eines sein müssen: sichtbar. Diese Auge-Ohr-Dyade ist gleichwohl extrem reduktionistisch, denn Literatur ist keineswegs nur ein audiovisuelles Phänomen, das sich allein in Konkurrenzen oder Komplementaritäten von Hören und Sehen abspielt. Sie ist nicht Schall- oder Bildkunst, ist nicht Laut oder Letter. Sie ist vielmehr ein Geschehen der intrikaten Beziehungen zwischen verschiedenen sensorischen und medialen Registern. Mehr noch: Sie agiert nicht nur zwischen Auge und Ohr, sie nimmt permanent Triangulierungen zwischen Auge, Ohr und Hand vor. In diesen Dreiecksbeziehungen kommt der Hand eine entscheidende Funktion für die Relativierung oder auch Neujustierung der Philologie im Zeichen des Auges oder des Ohres zu. Das Projekt überprüft diese These mit Blick auf gestische Interaktionen zwischen LeserInnen und Texten.
Im Kontext des DFG-Netzwerks Berühren – literarische, mediale und politische Figurationen