Die Borsigwerke in Berlin-Tegel – Die Neu-Entdeckung eines Industriegeländes (durch mich)
Trotz seiner beeindruckenden Größe liegt es etwas unscheinbar im Wedding. Wenn man das schöne Eingangstor und den Schriftzug darüber nicht sehen würde, würde man es glatt verpassen: Das Borsigwerk in Berlin-Tegel. Dabei ist das Gelände nicht nur groß – zu ihm gehört sogar ein kleiner Hafen –, sondern besitzt viele interessante Aspekte und Geschichten. Einen Bruchteil von diesen möchte ich hier entlang von Fotografien vorstellen.
Wie manch andere*r Berliner*in, so bin ich an den Borsigwerken eher zufällig an einem Sommertag auf dem Weg zum Tegeler See vorbeigekommen. Der Blick auf das verzierte Backsteintor und die Einfriedung – im Übrigen beides denkmalgeschützt – erzeugte zunächst Verwirrung. Was war das und darf man da rein? Ein Blick nach rechts auf die U-Bahn Haltestelle gab zumindest den Namen der Anlage preis. An dieser Stelle gehen Dank & Grüße an Willy Brandt für den Ausbau der U6, der die Borsigwerke an das Berliner U-Bahnnetz anschloss.
Eine kurze Recherche lieferte mir dann weitere Informationen. Das Tegeler Werkgelände wurde im Jahr 1898 eingeweiht. Errichtet hatte es das Unternehmen Borsig Maschinen- und Dampflokomotiven-Bau. Bis in den 1990ern die Metallverarbeitung auf dem Werksgelände endgültig ein Ende fand, wechselte die Fabrik häufig den Besitzer und seine Gestalt. Tatsächlich wurde aber bereits früh das danebenliegende Viertel "Borsigwalde" von dem Borsig Unternehmen zur Unterbringung von Arbeiter*innen errichtet. Allerdings vernachlässigte man dabei zunächst wohl den Bau einer Kanalisation oder von Wasserleitungen, sodass das Viertel bei den Einwohner*innen nicht besonders beliebt war. Doch das merkt man beim heutigen Durchgang zunächst nicht, sowohl Siedlung und Werk sind kühne Beispiele der Backsteingotik und Moderne.
Dieser neue Eindruck liegt aber wohl auch an den Ereignissen ab dem Jahr 1996: Hier wurde das Gelände zum Experiment für ein neues städtebauliches Konzept von u.a. dem französischen Architekten Claude Vasconi. Zweifelsfrei erklärt diese Periode die neue, moderne, vielleicht sogar selbstbewusste Präsentation des Geländes, inklusive Shopping-Mall, Kino und Retailstandort. Diese doch eher konsumorientierten Institutionen versuchen augenscheinlich einen Bezug zur lokalen Community durch Angebote (e.g. einer Zeugnisaktion) und Gutscheine zu erreichen.
Dennoch gelingt das Ziel, das Gelände attraktiv zu machen, meinem Eindruck nach nicht. Obwohl viele traditionelle Elemente erhalten blieben und unter Denkmalschutz stehen – so z.B. auch die Werkhalle, in der heute die "German University in Cairo" haust – wirkt das Gelände eher modern und leer. Die den ursprünglichen Backstein nachahmende Tapete mag zwar gut gemeint sein, lässt einen aber eher der abgerissenen Originalarchitektur nachtrauern. Angekleisterte Sätze wie "Hier trifft sich mein Kiez" wirken da eher gekünstelt, wenn nicht gar verzweifelt.
Trotz alledem ist das ehemalige Werksgelände in Tegel einen kleinen Spaziergang durchaus wert. Ich habe es jedenfalls genossen. Allein schon wegen dem Borsigturm. Obwohl er ursprünglich eher aus Gründen des Platzsparens funktionsorientiert in die Höhe gebaut wurde, bildet er mit seinen drei heraustretenden Gesimsbändern doch ein schönes Beispiel künstlerischen Ausdrucks (die Worte Backsteinexpressionismus kommen in den Sinn). Und doch: Dem allgemeinen Charakter des Geländes huldigend ist der Turm heute für die Öffentlichkeit begrenzt zugänglich.
Robert Somogyi
Quellenverzeichnis:
Cobbers, A. (2010): Architekturführer. Die 100 wichtigsten Berliner Bauwerke. Berlin, Jaron Verlag.
During, R.W. (2002, 18. Januar): Borsig: Die Geschichte der Borsig-Werke, in: Tagesspiegel.
https://www.visitberlin.de/de/borsigturm (Letzter Zugriff: 19.07.2023).