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Energie und Sozialismus

Dozent/inProf. Dr. Susanne Strätling
InstitutionUniversität Potsdam
Webadresse
RaumAm Neuen Palais 1, Raum 1.11.2.27
Beginn11.04.2018 | 12:00
Zeit

Mittwoch 12 - 14 Uhr

Die Diskursgeschichte der Energie im 20. Jahrhundert ist gekennzeichnet von Versuchen, soziopolitische Formationen aus Ressourcen und Energieformen abzuleiten. In Lenins Formel „Kommunismus = Sowjetmacht + Elektrifizierung des ganzen Landes“ ist dieser Zusammenhang prägnant auf eine Gleichung gebracht. In der Auseinandersetzung mit konkreten Energieprojekten des Sozialismus (Bau von Kraftwerken, Staudämmen usw.) sowie deren künstlerischer Rezeption rekonstruiert das Seminar die argumentative Topik der poetischen und politischen Faszinationsgeschichte der Energie im Sozialismus. Dabei werden drei Schwerpunkte gesetzt:

Der erste Schwerpunkt steht im Zeichen des frühsowjetischen Elektrifizierungsplans (GOĖLRO). Leitfragen dieses ersten Schwerpunkts sind: Wie konfigurieren die Modelle eines von Leitungen und Strahlen vernetzten, energetisch durchaderten Raums das Imperium der sozialistischen Staaten neu? Und welche Erzählungen, utopischen Projektionen und kollektiven Phantasmen knüpfen sich an die Vorstellung von einer ‚sozialistischen Energie’?

Der zweite Teil des Seminars erweitert die elektrotechnische Faszination um politische Narrative des Sozialismus als Fossil Fuel Society. Dies betrifft v.a. Öl und Kohle, an die sich eigene Rhetoriken und Symboliken von Raumbeherrschung, von Stofflichkeit, von Schmutz und Sauberkeit, von Speichern und Verwerten knüpfen, vgl. etwa Konzepte eines erdgeschichtlichen Rohstoffgedächtnisses (carbon energy als mnemische Energie), eines Eindringens in den Schoß der Erde usw.

Mit dem letzten Paradigma des Seminars, der Atomenergie, ist ein eigenes Narrativ verbunden, das mit frühen utopischen Visionen eines extraterrestrischen Sozialismus einsetzt, dann im 2. Weltkrieg und im Kalten Krieg die militärische Kollision der Systeme prägt und schließlich mit dem Slogan „Mirnyj atom v každyj dom!“ in die Ideologie einer „friedlichen Nutzung“ der Nuklearenergie mündet, bis mit dem GAU von Černobyl auch das Ende des Staatssozialismus diagnostiziert wird.