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Flucht, Trauma und Erinnerung in der georgischen Gegenwartsliteratur und im Film

Die Geschichte des postsowjetischen Georgiens ist durch Kriege in Abchasien und Südossetien maßgeblich geprägt. Die russischen neoimperialen Ansprüche im Südkaukasus spiegeln sich bis in die Gegenwart in den fortbestehenden militärischen Konflikten der Region wider. Die kollektiven und individuellen Erfahrungen von Krieg und Vertreibung formieren die politischen, sozialen und kulturellen Prozesse des unabhängigen Georgiens. Die postsowjetische georgische Literatur- und Filmtradition greift bereits Anfang der 90er Jahre in ihrer Genrevielfalt die Kriegs-, Flucht- und Traumanarrative auf und treibt den Prozess der Aufarbeitung von historischen Ereignissen intensiv voran. Die ersten georgischen postmodernen literarischen Schreibpraktiken, die sich in dieser Zeit formieren, behandeln in unkonventionellen Erzählmustern und jenseits klassischer Opfer- und Täternarrative komplexe Kriegsparadigmen, erinnerungspolitische Fragestellungen und traumatische individuelle und kollektive Schicksale. Das Seminar hat zum Ziel, die literarische Repräsentationen von Kriegsdynamiken (Bürgerkrieg in Tbilissi, Abchasienkrieg und der so gen. Augustkrieg in 2008) und deren ästhetische Darstellungen in den fiktionalen Erinnerungsnarrativen aufzugreifen und sie im Hinblick auf nationale Identitätsbildungsprozesse zu reflektieren. Dabei spielen die Fragen nach Erzählbarkeit von Gewalterfahrungen in literarischen und filmischen Werken und nach ästhetischen Inszenierungen von Trauma- und Gewaltgeschichten eine zentraale Rolle. Mit der text- und filmanalytischen Arbeit werden die Romane und Erzählungen von Aka Morchiladze („Reise nach Karabach“, 1992), Zaza Burchuladze („Adibas“, 2009), Tamta Melaschwili („Abzählen“, 2011) und die Spiel- und Dokumentarfilme von Dito Tsintsadze („An der Grenze“, 1993; „Schindisi“, 2019), Giorgi Owaschwili („Das andere Ufer“, 2009), Zaza Uruschadze („Tangerines“, 2013) Rusudan Glurjidze („Das Haus der Anderen“, 2018) u. a. behandelt.

Für die einführenden Sitzungen, die zum größten Teil theoretisch ausgerichtet sind, sollen von allen Seminarteilnehmer*innen schriftliche Stellungnahme zu ausgewählten Texten der Sekundärliteratur eingereicht werden. Die Lektüreexzerpte sollten eine A4 Seite umfassen. Nach den einführenden Sitzungen werden wir uns mit den Primärtexten und filmischen Beispielen befassen, zu denen Sie (u. a. in Arbeitsgruppen) in unterschiedlichen Formaten wie Rezensionen, kürzeren Text- und Filmanalysen, Fragen/Thesen, theoretischen Bezugnahmen Stellung nehmen. Alle thematische Blöcke werden durch einführende Erläuterungen, Kontextualisierungen, vertiefende Reflexionen zum theoretischen Fundament des Seminars u. a. ergänzt und Ihnen in Form eines Handouts o. Ä. zur Verfügung gestellt. 1. Exzerpte Forschungsliteratur (zweite Sitzung, zwei Texte á eine A4 Seite) 2. Rezension / Textanalyse od. Filmanalyse / Lektüreeindruck + Fragen (je zwei Primärtexte/Filme) 3. Kontextualisierung Forschungsliteratur + Primärtext

(31303)

TypVertiefungsseminar
Dozent/inIrine Beridze, M.A.
RaumGarystr. 55 Seminarraum 101
Beginn18.10.2022
Zeit

Di 12:00-14:00

Literaturliste

Assmann, Aleida; Jeftic, Karolina; Wappler, Friederike (Hg.) (2014): Rendezvous mit dem Realen: Die Spur des Traumas in den Künsten. Bielefeld: transcript. Bauer, Matthias; Nies, Martin; Theele, Ivo (Hg.) (2019): Grenz-Übergänge: zur ästhetischen Darstellung von Flucht und Exil in Literatur und Film. Bielefeld: transcript. Borisova, Natalia; Frank, Susi; Kraft, Andreas (Hg.) (2015): Zwischen Apokalypse und Alltag. Kriegsnarrative des 20. und 21. Jahrhunderts. Bielefeld: transcript Verlag. Chiari, Bernhard; Rogg, Matthias; Schmidt, Wolfgang (Hg.) (2009): Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts. Berlin/Boston: Oldenbourg Wissenschaftsverlag. Fricke, Hannes (2004): Das hört nicht auf. Trauma, Literatur und Empathie. Wallstein Verlag, Göttingen. Köhne, Julia B.; Michael Elm, Kobi Kabalek (Hg.) (2014): The Horrors of Trauma in Cinema. Violence, Void, Visualization. Cambridge: Cambridge Scholars Publishing. Köhne, Julia B. (Hg.) (2012): Trauma und Film. Inszenierungen eines Nicht-Repräsentierbaren, Berlin: Kadmos. Nachkebia, Daur: Nacht, ich stehe an deinem Ufer. Odischaria, Guram: Die Katze des Präsidenten. Zwei Romane aus dem Kaukasus. Berlin: Klak Verlag. 2022. Röhnert, Jan (Hg.) (2014): Autobiographie und Krieg: Ästhetik, Autofiktion und Erinnerungskultur seit 1914. Heidelberg: Winter. Der Feigenbaum. Literatur aus dem Kaukasus. Herausgegeben von Guram Odischaria und Roin Agrba. Berlin: Klak Verlag. 2021. Wende, Waltraud Wara (Hg.) (2005): Krieg und Gedächtnis. Ein Ausnahmezustand im Spannungsfeld politischer, literarischer und filmischer Sinnkonstruktion. Würzburg.