Zurück zur klassischen Moderne. Europa im Spiegel russischer Neokonservativer Katharina Bluhm
Vortrag auf dem 38. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (26.09.2016 - 30.09.2016, Universität Bamberg) im Plenum Offene Gesellschaften und ihre Feinde
Anders als im 20. Jahrhundert tritt das gegenwärtige Wiedererstarken des Illiberalismus bisher nicht mit großen „positiven Ideologien“ (Mannheim) auf, sondern erscheint als Rückwärtsbewegung. Oft werden „Gegenentwürfe“ zu liberaler Marktwirtschaft und Wettbewerbsdemokratie im Rahmen hybrider Regime formuliert, die formal-demokratische Regelsysteme und kapitalistische Marktwirtschaft mit einem (wachsenden) Autoritarismus verknüpfen. Dies erschwert große Gegenentwürfe. Gleichwohl mehren sich die Ideologeme, die alte und neue Narrationen verbinden, alte Fronten revitalisieren und neue Allianzen ermöglichen. Die anhaltende Krise und Austeritätspolitik der Europäischen Union haben Europa zu einem Tummelplatz für Anbieter solcher Ideologeme gemacht.
Russland bildet wieder einen wichtigen Bezugspunkt in dieser Auseinandersetzung. Auf der Basis von Originaltexten seiner konzeptiven Ideologen werden im ersten Schritt übergreifende Themenbündel des neuen russischen Konservatismus skizziert, der nicht mit einem „Putinismus“ gleichzusetzen ist. Der Fokus der Analyse liegt auf der Konstruktion einer gesellschaftlichen Alternative zum „Westen“. Im zweiten Schritt wird die Positionierung der neuen Konservativen gegenüber Europa beleuchtet und in den Kontext russischer Theorietradition gestellt. Charakteristisch für die Deutung Europas ist die Wiederkehr zweier alter, konfligierender Konzepte: Während das Zivilisationskonzeption von der Abgrenzung vom „Westen“ lebt, will die Idee von Russland als das „andere Europa“ einen Spiegel bieten, mit dem sich Europa erkennen und zu sich zurückfinden soll. Der entscheidende Punkt bei dieser zweiten Deutung ist, dass Russland nicht einfach gegen den „Westen“ gestellt wird, sondern eine Mission für Europa erhält. Diese Mission spielt mit der soziologischen Theorie der Moderne. Das neokonservative Konstrukt einer „klassischen“, nationalstaatlich geprägten – europäischen – Moderne wird gegen die reflexive Moderne à la Beck oder Giddens gewendet. Die damit verbundene Kritik am Neoliberalismus und der globalen Finanzoligarchie ist politisch sowohl an die Linke wie Rechte adressiert. Mit ihrem kulturellen Programm jedoch, das als Rückkehr zur „klassischen Moderne“ vorgeführt wird, entscheiden sich die neuen russischen Konservativen für die europäische Rechte als ihre „natürlichen“ Verbündeten.
Zeit & Ort
27.09.2016 | 09:00 - 12:00
Universität Bamberg