Springe direkt zu Inhalt

Film des Monats | April 2025 | Das asthenische Syndrom (1989) von Kira Muratowa

Das asthenische Syndrom (1989)

Das asthenische Syndrom (1989)

News vom 19.04.2025

Regie: Kira Muratowa
Genre: Spielfilm

Jahr: 1989
Sprachfassung: Russisch mit englischen Untertiteln
Dauer: 153 Minuten

Hier geht es zum Stream.

Synopsis:

„In meiner Kindheit, in meiner frühen Jugend dachte ich, dass wenn alle Menschen Lew Nikolajewitsch Tolstoi lesen, dann werden ausnahmslos alle alles, alles verstehen und gute, kluge Menschen werden.” Mit diesem Satz wenden sich am Anfang des "Asthenischen Syndroms" drei alte Frauen direkt an die Zuschauer. "Die Zuschauer ahnen, dass es sich bei dem dissonanten Chor der Alten um Verhöhnung, um Stjob handeln muss.", schreibt Filmwissenschaftlerin Isa Willinger über die Szene. "Denn wer alles über die brutale Wirklichkeit versteht, fällt in den albtraumhaften Schlaf des Asthenischen Syndroms."

Kira Muratowas sechster Film schaffte es 1989 nicht an der Zensur vorbei und wurde somit zum letzten verbotenen Film der UdSSR. Grund dafür waren Passagen mit derben Flüchen (russisches "Mat"), die so zuvor noch niemals auf der Leinwand zu hören gewesen waren. In nur lose bis unzusammenhängenden, collagenhaften Szenen entwirft der Film das Bild einer rastlosen Gesellschaft, die im Prozess ist, sich alter Regeln und Normen zu entledigen, während die neuen noch gar nicht geschaffen sind.

Der Film besteht aus zwei Teilen, einmal als Film-im-Film in Schwarz-Weiß, einmal in Farbe. Im ersten bricht eine Frau über den Tod ihres Mannes psychisch zusammen und erteilt allen gesellschaftlichen Konventionen eine radikale Absage. Im zweiten ereilt einen jungen Lehrer das asthenische Syndrom: Den Zumutungen des Lebens begegnet er auch in unmöglichsten Situationen mit tiefem Schlaf.

Dank einer aus dem Land geschmuggelten Kopie erlebte "Das asthenische Syndrom" 1990 dennoch seine Premiere auf der Berlinale und gewann dort den Silbernen Bären. Ein halbes Jahr später durfte er auch in der Sowjetunion aufgeführt werden und erhielt dort schließlich den Nika, den wichtigsten russischen Filmpreis.

Zur Regisseurin:

1934 in Rumänien geboren, studierte Kira Muratowa an der Gerassimow-Hochschule für Kinematographie in Moskau. Ab 1961 arbeitete sie in Odesa und Leningrad (heute St. Petersburg) und hatte immer wieder mit der Zensur zu kämpfen. Erst die Perestroika Mitte der 80er Jahre erleichterte ihre Arbeit. Bis 2012 drehte Muratowa ein gutes Dutzend Kinofilme, Kurzfilme und einen Dokumentarfilm. 2017 wurde sie in die US-amerikanische Academy of Motion Picture Arts and Sciences eingeladen, welche die Oscars vergibt, bevor sie 2018 im Alter von 83 Jahren in Odesa verstarb.

Mehr Informationen:

- Filmwissenschaftlerin Isa Willinger schreibt auf der Plattform Dekoder über die Hintergründe des Films. Sie hat die Regisseurin 2013 außerdem interviewt, nachzulesen auf ihrer Homepage (englischsprachig).

- Die TAZ kündigte die Berlinale-Vorführungen 1990 an.

- Einen schnelle Überblick über Muratowas Leben und Schaffen gibt es in diesem Nachruf vom Guardian (englischsprachig). Das Arsenal widmete Muratowa 2023 eine Retrospektive.

1 / 100